von Julian Vayne, übersetzt von Fuchs
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Die Maxime „enchant long and divine short“ (übersetzt: „zaubere lang und diviniere kurz“, gemeint als „zaubere langfristig und diviniere kurzfristig“) ist eine der vielen Weisheiten, die wir aus der Arbeit von Peter Carroll gewinnen können. Der Vorschlag ist einfach gesagt der, dass wenn wir magische Effekte hervorrufen wollen besser damit fahren, unsere Wünsche in eine Zukunft zu schicken, die weit genug entfernt ist. Es gibt in fernerer Zukunft mehr Variablen, durch die sich unsere Zauber verwirklichen können. Währenddessen funktioniert Divination dann am besten, wenn sie „kurz“ gemacht wird. Wie die Wettervorhersage ist sie für konkrete Ereignisse, die einige Tage in der Zukunft liegen erfolgreicher als Weissagungen, die eine weit entfernte Zukunft (ganz besonders im Bezug auf größere Themenkomplexe) betreffen. Während zwar bei begabten Hellsehern kurze Geistesblitze der Einsicht auftreten können, tendiert Divination für gewöhnlich eher dahin, dem Frager zu erlauben, seine Situation im Moment der Fragestellung zu reflektieren und den Frager zu bemächtigen, seine möglichen Optionen in der gegebenen Situation zu verstehen. Wenn wir den magischen Stil des linkshändigen Pfades betrachten, kann die Vorgabe „lang zu zaubern und kurz zu divinieren“ zu einigen interessanten ethischen Effekten führen. Lasst uns das Beispiel des langfristigen Zauberns mal genauer unter die Lupe nehmen: Wir wissen, dass unser Selbst sich ändert und dass es ein „narratives Zentrum der Gravitation“ gibt (um mal einen Begriff aus „phenomenology and hermeneutics“ zu entlehnen). Unsere Bedürfnisse und Wünsche, sowie unsere Identität können sich verändern. In diesem Bewusstsein fordert langfristige Zauberei vom Magier ein, das Problem (oder den Wunsch) nicht aus dem direkten Selbst heraus zu betrachten, sondern als Teil eines größeren Bildes. Dies transformiert das, was anfänglich als ein keuchendes, nach außen gerichtetes, persönliches Bedürfnis auftritt in etwas größeres und umfassenderes. Ein Beispiel: Eine Gruppe von mit mir befreundeten Magiern wurde vor ein paar Jahren mit viraler Hepatitis diagnostiziert. Das ist eine durch das Blut übertragbare Infektion, für die es zum Zeitpunkt der Infizierung mit dem Virus keine Heilung gab. Selbstverständlich wollten wir als Magier dieses Problem angehen. Und obwohl hin und wieder eine „wundersame Heilung“ stattfindet (meiner Erfahrung nach manifestiert sich so etwas typischerweise, indem der Patient erkennt, dass er „falsch diagnostiziert“ wurde und dass die Krankheit, die ihn bedrohte wortwörtlich verschwunden ist), ist es doch am besten, dem Ratschlag von Herrn Carroll zu folgen und auf lange Sicht zu zaubern. In diesem speziellen Fall beschränkte sich unsere Arbeit nicht auf die Heilung unserer Freunde, sondern stattdessen konzentrierte sie sich auf das Finden einer Heilung von Hepatitis. Und als sich anti-virale Technologie entwickelte, wurde es ebenso wichtig, sich auch um den kulturellen und den finanziellen Aspekt der pharmakologischen Industrie zu kümmern (beispielsweise gab es da eine Zeitspanne, in der zwei Firmen rivalisierende Arzneimittel auf den Markt brachten, die ihre Wirkung am besten in Kombination zeigten.) Das langfristige Resultat unserer Arbeit ist, dass meine beiden Freunde jetzt glücklicherweise frei vom Hepatitis-Virus und allen durch die Infektion entstandenen gesundheitlichen Problemen sind. Während wir unmöglich sicher sein können, dass unser Gemurmel aus Zaubersprüchen, Invokationen von Geistern oder der Einsatz von magischer Frischhaltefolie (wirklich!) tatsächlich geholfen haben, diese wissenschaftlichen Entwicklungen zu bewirken (wir können ja schließlich keinen Kontrollversuch dieses Experimentes in der medizinischen Geschichte durchführen, indem wir einen erneuten Testlauf starten, der ohne magische Hilfestellung abläuft), ist der Punkt auf den es mir ankommt der, dass meine Freunde jetzt gesund und munter sind. Und es ist dieser Prozess, der die an einem „engstirnigen Verlangen“ orientierte Magie des linkshändigen Pfades in etwas verwandelt, das mehr einem Vajrayana-Pfad ähnelt; wir nehmen unsere eigenen, persönlichen Wnsche (für bestimmte Resultate oder für Illumination/Erleuchtung) und benutzen diese auf geschickte Art und Weise, um ein Resultat zu erreichen, in dem alle Wesen befreit werden. Wenn Du versuchst, magische Resultate für Deine Belange zu bewirken, warum dann nicht auch das lange Spiel spielen, wenn es doch einen Weg gibt, nicht nur das zu bekommen was Du willst, sondern vielen Anderen ebenso zu helfen? Das oben angeführte Beispiel der Heilungsmagie passt hier ideal hinein; anstatt nur für Dich selbst (oder das Wohl Deiner Klienten) zu arbeiten, denke auch an all die anderen Menschen, die an dem selben Problem leiden. Umgekehrt solltest Du Dich bei der Divination nicht auf die Handlungen oder Ereignisse komplexer Netzwerke konzentrieren, sondern Deinen Fokus eher darauf legen, was Du (oder der Frager) in einer gegebenen Situation tun kannst. Aus der Sicht des linkshändigen Ansatzes entstehen aus jeder Divination persönliche Verantwortung, Stärkung und Macht. Vielleicht erlaubt uns das, Peters Diktum folgendermaßen zu erweitern: „Zaubere langfristig und global, diviniere kurzfristig und für Deine persönlichen Belange.“ In Arbeiten der Verzauberung lass das individuell wünschende Selbst los, erwäge den größeren Kontext Deiner Magie und bekomme durch geschicktes Einsetzen Deiner Mittel mehr für Deinen esoterischen Dollar. Und was Divination angeht: Gib die Illusion auf, dass Du ohne eigene Kraft seist und erkenne den Pfad, der Dir am Meisten Kraft gibt, um Dich an eine Situation anzupassen, in der Du Dich selbst finden kannst.
JV
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