Erdung


von Frater Zeno

Erdung heißt, ganz kurz und platt gesagt, die Magie wegzuschicken und zu beenden. Es ist die einfachste und notwendigste Komponente der magischen Bannung. Der Zustand, von Magie frei zu sein, wird häufig als Geerdetsein bezeichnet, was sich sowohl auf Personen als auch auf Situationen oder Orte beziehen kann. Eine weitere Bedeutung des Begriffes Erdung ist die der Manifestation einer Eingebung, Vision oder Idee. Auf diese Bedeutung wird im Folgenden nicht weiter eingegangen.

Notwendigkeit der Erdung

Die Erdung beendet magische Handlungen. Die Erdung ist deshalb in erster Linie ein Instrument, das eingesetzt wird, um magische Phänomene zu begrenzen und aus Bereichen des Lebens, in denen man sie nicht haben möchte, weil man beispielsweise nicht die Kontrolle über sie verlieren möchte, fernzuhalten. Regelmäßige Erdung ist für all diejenigen unbedingt notwendig, die sich nicht damit zufriedengeben möchten, durch die Magie eine neue Welt zu betreten, sondern die die Wahl haben möchten, mal in der einen Welt zu leben – und mal in der anderen. Im Alltagsleben nicht geerdet oder frei von Magie zu sein, ist ein fast schon klassisch zu nennendes Merkmal schlechter Zauberer. Solche Personen sind vor allem daran zu erkennen, daß sie an allen passenden und unpassenden Stellen das Eingreifen von Geistwesen sehen, ununterbrochen Schwingungen und Atmosphären zu spüren meinen und generell ihre Umwelt als ausgesprochen dramatisch und auf (ihre) Gefühle bezogen empfinden. Solche Personen sind gegenüber magischen Phänomenen verwundbar und neigen deutlich zu Psychosen. Sie ähneln darin, sind aber nicht identisch mit, den Opfern mangelnder Zentrierung. Häufig schränken sie wie diese instinktiv ihre magische Praxis erheblich ein, entwickeln sie nicht mehr weiter oder beenden sie völlig, um geschwächt und psychisch verletzt zurückzubleiben, ohne die von der Magie erwünschten Ziele wie Erleuchtung oder Macht erreicht zu haben. Stattdessen sehen sie sich zwar als von magischen Phänomenen umgeben, reagieren aber nur, statt von einer sicheren, geerdeten Basis aus agieren zu können. Solche Personen werden gelegentlich als „gescheiterte Magier“ bezeichnet. Die klassischen Symptome mangelnder Erdung sind: jede Art von Effekten, die gewöhnlich mit magischen Wirkungen assoziiert wird – jeweils außerhalb der gewollten magischen Handlung, gefühlsbetontes, diffuses Denken großzügiuger Umgang mit magischen Ideen, intensive Träume und die Unfähigkeit, diese von der Wachwelt zu trennen, überwältigende Mengen von Synchronizitäten und häufige Spukerscheinungen. In den meisten Fällen besteht in der Natur dieser Symptome ein Zusammenhang zu den Kräften oder Symbolen, mit denen zuvor ohne ausreichende Erdung magisch gearbeitet wurde, was im Allgemeinen als Zeichen des fortdauernden Einflusses Dieser gewertet wird. Ein intensives oder langanhaltendes Nicht-Geerdetsein kann die Persönlichkeit dauerhaft destabilisieren. Alle diese Dinge kommen prinzipiell auch bei guter Erdung vor und können auch durch andere Bedingungen (Umwälzungen der Persönlichkeit während der Pubertät zum Beispiel) ausgelöst werden. Sie „passieren“ nicht- oder weniggeerdeten Okkultisten jedoch weit überproportional häufig. Nun ist das natürlich nicht prinzipiell etwas schlechtes – viele werden sogar sagen, daß solche Erlebnisse die eigentlich Faszination der Magie ausmachen. Trotzdem finden es die meisten Magiepraktizierenden wünschenswert, über diese Dinge eine gewisse Kontrolle zu behalten, insbesondere wenn sie mit finsteren Formen der Magie arbeiten, deren zufällige Ausbrüche im Alltagsleben sich möglicherweise verheerend auswirken würden.

Methoden der Erdung

Unter Außenstehenden und Anfängern in der Magie ist der Irrglaube verbreitet, um Magie zu bannen, genüge es, „einfach nicht dran zu glauben“. In hochgestocheneren Worten könnte man sagen: einen Paradigmenwechsel vorzunehmen. In der Theorie (einiger magischer Schulen) mag das sogar stimmen, in der Praxis jedoch erweist es sich als außerordentlich schwierig, irgendetwas plötzlich nicht mehr zu glauben. Fast immer bleibt ein verschwommener Rest von Meinungen, Glaubenssätzen und Zweifeln, der unproblematisch sein kann, aber es keineswegs sein muß. Es wird normalerweise geerdet, indem der Prozeß, mit dem die Magie hervorgerufen wurde, umgekehrt wird. Die Energie fließt ab, der Planetengeist kehrt auf seine Ebene zurück, die Tore zu anderen Welten werden geschlossen, die Verwandlung des Schamanen wird rückgängig gemacht. Dabei werden die selben magischen Methoden verwendet, die auch eingesetzt wurden, um die Magie hervorzurufen. Wurde beispielsweise eine Sigille mit dem Stab in die Luft gezeichnet, so wird sie mit den Stab wieder verwischt. Wurde eine Energie mit einer traditionellen Anrufung evoziert, so wird sie mit einer traditionellen Verabschiedungsformel weggeschickt. Wurde ein Geist durch Visualisierung gerufen, so wird er ebenso durch Visualisierung wieder gebannt… und so weiter. Gleichzeitig werden physische Hilfsmittel, Symbole und Reliquien entfernt, die Hintergrundmusik ausgeschaltet oder ausgewechselt, der Raum frisch belüftet und die Beleuchtung wieder in ihren Normalzustand gebracht. Wird die Magie im Freien, insbesondere an einem heiligen oder Kraftort, ausgeübt, so wirkt es erdend, den Ort zu verlassen. Eng verwandt mit dem Entfernen physischer Utensilien ist die Erdung durch Schock, zum Beispiel mittels plötzlicher, heller Beleuchtung oder kaltem Wasser. Diese Methode funktioniert besonders gut, sollte aber ein formelles Wegschicken der Magie nur ergänzen, nicht ersetzen. Angenehmere Methoden, durch die Aufmerksamkeit auf das körperliche Sein zu erden, sind körperliche Arbeit, Essen (vor allem schwere Mahlzeiten, Fleisch) und Sex. Eine andere Möglichkeit ist es, die Energie vollständig in einem magischen Effekt zu verbrauchen. Das geschieht in Trancetänzen, die irgendwann mit dem Zusammenbruch des Tänzers enden, oder in manchen Zaubern, die im Energieparadigma durchgeführt werden. Es ist jedoch kaum möglich, sicher zu sein, daß wirklich restlos alle Kraft verbraucht wurde, weswegen auch in diesem Fall eine zusätzliche Erdung sinnvoll ist. Übrige Kraft kann auch an eine andere Instanz weitergegeben werden. Diese kann beispielsweise das schamanische Krafttier sein, das die Überbleibsel schlicht auffrisst. Es ist aber auch möglich, die Überreste einer Gottheit, dem höheren Selbst oder einem in dem jeweiligen magischen Akt hilfreichen Wesen zu opfern. Besonders beliebt ist die Möglichkeit, durch schlichte Visualisierung übriggebliebene Kräfte dem Erdboden zu übergeben – jegliche Energie versickert und man nimmt an, daß sie von der Erde sozusagen verdaut wird. Ganz normales, nicht-magisches Alltagsleben erdet ebenso und ist oft der einzige magische Schutzmechanismus, den Anfänger oder an Magie überhaupt nicht interessierte Personen benutzen. Das reicht im Allgemeinen aus, solange magische Erlebnisse selten und wenig intensiv bleiben – ohne daß sich aber eindeutigere Bedingungen geben ließen. Wirksam scheint vor allem die Überzeugung zu sein, magische Phänomene seien, zumindest unter den jeweils gegenwärtigen Umständen, nicht möglich. Der (nicht unbedingt bewußte) Glaube an „magie-ähnliche“ Mechanismen wie Pechsträhnen oder das Gesetz des Karma kann den Schutz, den die Alltagserdung bietet, bereits durchbrechen. Eine Methode des Erdens, die durch ihre schlichte Eleganz überzeugt, ist das Bannende Lachen. Es wurde von Chaosmagiern kultiviert, findet aber langsam seinen Weg in die Praxis vieler moderner Freistilhexen und -zauberer. Hierzu gibt es nicht viel zu sagen: lach einfach, am besten herzlich, laut und bis Du Dich auf dem Boden kugelst. Lachen wirkt dann am besten bannend, wenn es ein Auslachen der Magie oder ein fröhlicher Abschied ist, der Gedanke des Wegschickens also fester Teil von ihm ist. Außerdem ist es im psychologischen Paradigma am sinnvollsten. Es kommt vor, daß es nicht gelingt, durch bloße Erdung in den gewünschten Zustand der Magiefreiheit zurückzukehren, bespielsweise nach Begegnungen mit manchen Dämonen. In diesen Fällen sind weitere Techniken insbesondere der Schutzrufung vonnöten. Die Erdung ist und bleibt jedoch die grundlegendste Komponente der Bannung.

Einsatz der Erdung

Um die eingangs genannten unerwünschten Effekte zu vermeiden, werden die oben beschriebenen Methoden der Erdung eingesetzt, und zwar insbesondere im Anschluß an und als Abschluß von explizit magischen Handlungen. Es gilt als empfehlenswert, jede solche Handlung mit einer expliziten Erdung zu beenden. Vor allem regelmäßige Praktiker, die häufig kleine Zaubereien in ihr Alltagsleben einfügen, erden sich oft gewohnheitsmäßig, zum Beispiel mit einem täglichen Kleinen Pentagrammritual vor dem Schlafengehen. Neben der magischen Verwendung können Erdungstechniken auch eingesetzt werden, um unerwünschte Emotionen (besonders Nervosität und Angst) oder Elemente des Alltags wie Glaubenssätze oder Wertvorstellungen, die man loswerden möchte, zu bannen. Hier reicht es oft aus, die Wahrnehmung oder das Konzept als einen Nebel zu visualisieren, der den eigenen Kopf verhüllt, und dann dessen Beseitigung zu visualisieren. Wer nicht geübt genug ist, den gewünschten Effekt mit einer einzigen Visualisierung zu bewirken, wird die Wirkung mit regelmäßig wiederholten Visualisierungen trotzdem zustandebringen. Nicht in oder nach allen magischen Praktiken ist Erdung vorgesehen. Bei einem schamanischen Krafttiertanz etwa geht man fest davon aus, daß das gerufene Wesen dem Schamanen auf gar keinen Fall schaden wird und daß es von selbst verschwindet, wenn das notwendig werden sollte. In der Ritualmagie ist sie jedoch – bis aus wenige Ausnahmen wie die Abramelin-Operation – gängige Praxis, wenn auch nicht immer formeller Teil des Rituals. Ist die eigene Person mit dauerhaften Zaubern belegt – einschließlich durch Schutzrufung hervorgerufener magischer Wirkungen – so können diese bei einer unspezifischen Erdung wie dem erwähnten Versickernlassen Schaden nehmen und müssen erneuert werden. Das ist ein weiterer Grund für die regelmäßige Praxis von Bannungsritualen und der Hauptgrund, warum permanente Schutzzauber gern in materiellen Basen (Schutzfetischen) statt in der eigenen Person verankert werden. Drogen – nicht nur die illegalen – können die Erdung sehr schwierig oder unmöglich machen, was ein Grund ist, warum ihre Verwendung in der Magie von allen namhaften Autoritäten als äußerst gefährlich bezeichnet wird. Es ist zwar richtig, daß Drogengebrauch immer schon ein essenzieller Bestandteil magischer Praktiken war. Bis vor wenigen Jahren jedoch wurden Drogen fast ausschließlich entweder von im Umgang mit anderen Bewußtseinszuständen sehr erfahrenen Personen oder innerhalb von festen religiösen, magischen oder sozialen Ritualen konsumiert, die Erdung beinhalteten oder deren Ende eine Erdungsfunktion hatte. Diese Drogen waren im Allgemeinen auch im magischen Gebrauch wesentlich niedriger dosiert, als es heute möglich ist. Drogen sollten auf keinen Fall in magischen Handlungen verwendet werden, die eine formelle Erdung vorsehen. Andererseits kann das Abklingen einer Drogenwirkung als natürliche Erdung fungieren und in Gruppenritualen ist es möglich, daß ein nüchterner Teilnehmer die Erdung für durch Drogen beeinflußte Teilnehmer mit übernimmt.

Erdung der Umwelt

Die Erdung kann recht einfach stellvertretend für andere Personen durchgeführt werden. Das ist noch kein Exorzismus: als Exorzismus wird (im magischen Kontext) die vollständige Bannung störender Einflüsse auf eine Zielperson bezeichnet, und zwar insbesondere die Entfernung einer Besessenheit. Die Erdung ist der wichtigste Bestandteil des Exorzismus, oft beinhaltet dieser aber auch Zentrierung und Schutzrufung. Unter geübten Okkultisten, die ihre Zentrierung und Schutzrufung selbst erledigen können, ist die Erdung durch andere meist die einzige Komponente, die eine zu exorzierende Person benötigt. So kann auch äußerst intensive invokatorische oder Trance verwendende Magie im Rahmen gehalten werden, indem sie in einer Gruppe durchgeführt wird, in der ein Teilnehmer als Aufseher und Exorzist fungiert. Ein Lachanfall dieser einzelnen Person kann auch eine größere Ritualgruppe schnell und wirksam erden. Ebenso kann diese Person durch einen Schock (helles Licht, laute unpassende Musik oder was sonst geeignet ist, die Atmosphäre zu zerstören) die Ritualgruppe so weit erden, daß diese eine formelle abschließende Bannung, falls noch nötig, durchführen kann. In Fällen, wo solche Maßnahmen nicht ausreichen, sind die gängigen Methoden zur Erdung anderer Personen die Bannung durch Schock (etwa mittels einer Ohrfeige) oder das gemeinsame Ausführen formeller Bannrituale, notfalls unter Zwang. Auch in diesem Fall sollte die Erdung der zu erdenden Magie entsprechen, ein Geist, von dem die zu erdende Person beispielsweise besessen ist, sollte also explizit mit Namen angesprochen und fortgeschickt werden, eine außer Kontrolle geratene Elementstauung mit dem passenden Größeren Bannenden Pentagrammritual beendet werden usw. Es ist nichtempfehlenswert, eine Invokation eines Kriegsgottes mit einer Ohrfeige beenden zu wollen.

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