von Frater Zeno
Es gibt im Netz hunderte Seiten über das Kleine Bannende Pentagrammritual, oft auch verkürzt als Kleines Pentagrammritual oder (vom englischen „Lesser Banishing Ritual of the Pentagram“) als LBRP bezeichnet. Warum also eine weitere? Zum einen ist dieses Ritual ein gutes Beispiel für die Anwendung von Erdung, Zentrierung und Schutzrufung, zum zweiten ist es schlicht und ergreifend das wichtigste Ritual in der westlichen Magie und zum dritten gibt es fast keine Anleitung dazu, die wirklich ausführlich und idiotensicher wäre. Was folgt, ist ein Versuch, es besser zu machen.
Geschichte und Bedeutung
Es ist fast schon Allgemeinwissen, daß dieses Ritual durch den Hermetic Order of the Golden Dawn entwickelt und bekannt gemacht worden ist. Wesentlich weniger bekannt ist hingegen, daß bereits Eliphas Levi eine dem Kabbalistischen Kreuz sehr nahe stehende Formel beschrieb und bemerkte, daß dieses „die Beschwörung der Vier“ einleiten und beenden sollte. Die Ursprünge dieser Formel verlieren sich in den kaum noch zugänglichen Aufzeichnungen der Freimaurer, Rosenkreuzer und Möchtegern-Kabbalisten des 19. Jahrhunderts und es ist zumindest nicht auszuschließen, daß sie noch wesentlich älter ist, obwohl sich in den etwas besser dokumentierten magischen Praktiken aus der Zeit vor der Renaissance nichts dergleichen findet. Ein Vorläufer der Anrufung der Erzengel ist das traditionelle jüdische Krishma-Abendgebet. In diesem werden unter anderem die vier Erzengel gerufen, das Bett des Schlafenden zu umgeben und zu schützen. Ihre Anordung und die Reihenfolge des Rufens sind anders, aber die Ähnlichkeit ist unverkennbar. Da das Krishma 1880 bereits bekannt war, kann davon ausgegangen werden, daß das Kleine Bannende Pentagrammritual nicht unabhängig von ihm entwickelt wurde. Die Ausformulierung des gesamten Rituals in der heute bekannten Form stammt jedenfalls von „MacGregor“ Mathers, dem späteren faktischen Oberhaupt des Golden Dawn. Innerhalb des Golden Dawn war das Kleine Bannende Pentagrammritual die einzige dediziert magische Praxis, die im ersten Orden (also unter den Mitgliedern der untersten fünf Grade) gelehrt wurde. Erst Mitgliedern des zweiten, inneren Ordens, dessen Existenz zu dieser Zeit noch geheim war, wurden weitergehende Kenntnisse der Ritualmagie vermittelt, die in Stil und Form dem Kleinen Pentagrammritual freilich zum großen Teil ähnelten. Dieses erste Ritual wurde schnell weithin bekannt und hat die Entwicklung der westlichen Magie im zwanzigsten Jahrhundert entscheidend mit geprägt. Der Golden Dawn war zu seiner Zeit das Epizentrum eines Wiederauflebens der Magie und seine Popularität dürfte dem Kleinen Pentagrammritual viel von seinem Einfluß verschafft haben. Ideen wie die, sowohl eine schützende astrale Barriere aufzubauen als auch Geistwesen anzurufen, die diese Grenze bewachen, oder die Symmetrie des Durchführens einer in der Mitte des Ritualraums ausgeführten zentrierenden Affirmation zu Beginn und Ende des Rituals sind mittlerweile so verbreitet, daß sie gern leichtfertig für zum Bannen zwingend notwendig erklärt werden. Die Ritualsysteme der Wicca- und Thelema-Kulte sind zum großen Teil aus den Konzepten dieses Rituals entstanden. Für den praktischen Gebrauch ist die Popularität dieses Ritus‘ vielleicht ein besserer Grund, ihn zu erlernen, als seine Effektivität. Es gibt andere Bannrituale, die nach Ansicht vieler der Magier, die einen nüchternen Vergleich gewagt haben, mit weniger Aufwand bessere Resultate ergeben. Aber zwei westliche Ritualmagier, die sich nie zuvor gesehen habe und auf vollkommen verschiedene Weise praktizieren, werden mit einiger Wahrscheinlichkeit dennoch beide das „Kleine Pentagramm“ kennen.
Ritualablauf
Im Folgenden wird nur eine von vielen Varianten dieses Rituals beschrieben. Sie erfüllt ihren Zweck und sollte sich wegen der recht ausführlichen Beschreibungen als Handreichung für Anfänger eignen. Mit etwas Übung lassen sich daraus aber eigene Varianten formen – wenn sie sich nicht ohnehin mit der Zeit und der regelmäßigen Praxis von selbst ergeben. Hier und da sind Hinweise auf mögliche Modifikationen eingefügt, die sich in der Gestaltung eines „eigenen“ Kleinen Bannenden Pentagrammrituals eventuell als hilfreich erweisen könnten. In dieser ausführlichen Beschreibung klingt das Ritual komplizierter, als es tatsächlich ist. Knappe, leichter zu merkende Beschreibungen gibt es aber bereits zu hunderten im Netz. Das Ritual wird stehend und nach Osten blickend ausgeführt. Die in anderen Ritualen übliche Praxis, eine beliebige Richtung zum „magischen Osten“ zu erklären und sich an ihr zu orientieren, ist bei diesem relativ traditionellen Ritus unüblich, aber keineswegs unerhört. Ein ungestörter, ruhiger Ort ist wünschenswert – am besten ist ein Tempelraum, aber es haben schon Magier, die nichts besseres hatten, Kleine Pentagrammrituale unter der Dusche durchgeführt. Falls vorhanden, so wird ein magischer Dolch oder Stab (die „magische Waffe“) in der Hand gehalten; wenn nicht, tut es auch der Zeigefinger.
Das kabbalistische Kreuz:
Schließ die Augen und stell Dir vor, im leeren Raum zu stehen. Unter Dir ist klein die Erdkugel. Visualisiere über Dir eine Sphäre aus weißem Licht. Weise mit der magischen Waffe beziehungsweise mit dem Zeigefinger in sie und zieh das Licht herunter auf Deine Stirn. Vibriere dabei „ATEH“ („Dein ist“). Führe die Waffe oder den Zeigefinger vor Deinem Körper herunter und zieh das Licht mit. Visualisiere, wie sich mit der Handbewegung eine Säule aus Licht durch Deinen Körper nach unten ausdehnt. Wenn die Hand so weit unten ist, wie Du aufrecht stehend reichen kannst, zeig auf den Boden unter Dir und vibriere „MALKUTH“ („das Reich“). Der Lichtstrahl fließt durch Dich in die Erdkugel unter Dir. Die Energie, die hier fließt, ist der kabbalistische „Blitzstrahl“, die Entfaltung Gottes, die sich durch den Lebensbaum in die physische Welt ergießt. Das Kabbalistische Kreuz identifiziert den Magier mit diesem Kraftstrom, er wird damit magisch das ausführende Organ für den Willen Gottes. Berühre jetzt mit der Waffe oder dem Zeigefinger Deine rechte Schulter und vibriere „VE-GEBURAH“ („und die Kraft“). Visualisiere dabei, daß von der Lichtsäule ein waagerechter Lichtstrahl abzweigt und durch Deine Schulter nach rechts in die Unendlichkeit ausstrahlt. Jetzt berühre die linke Schulter und vibriere „VE-GEDULAH“ („und die Herrlichkeit“). Ein zweiter waagerechter Energiestrahl fließt durch die linke Schulter in die Unendlichkeit. Auch diese Symbolik ist kabbalistisch. Die rechte Schulter wird mit der Sephira Geburah identifiziert, die linke mit der Sephira Chesed, die auch Gedulah heißt. Damit wird der Körper des Magiers als der Lebensbaum beschrieben. Der Lebensbaum ist auch der Körper des Adam Kadmon, des göttlichen, perfekten Menschen. In Anlehnung an die verbreitete Darstellung des Lebensbaumes nach Kircher ziehen manche Magier es vor, statt der in vier Richtungen ausgedehnten Strahlen vier Sphären zu visualisieren. Es ist für das Ritual nicht unbedingt notwendig, sich all diese Symbolik zu merken und sie zu verstehen. Ein bewußter Bezug auf diese Konzepte macht das kabbalistische Kreuz aber ungleich intensiver. Streck jetzt die Arme nach links und rechts aus und vibriere „LE-OLAHM“ („in Ewigkeit“). Visualisiere intensiv die Dich durchfließende Energie. Dies ist der kraftvollste Moment des Kabbalistischen Kreuzes und sollte mit besonderer Sorgfalt ausgeführt werden. Nun falte die Hände, visualisiere das Gesamtbild der Sphäre über Dir, der Erde unter Dir und der Energiestrahlen durch Dich hindurch und vibriere „AMEN“. Diese ganze Handlung ist natürlich eine Abwandlung des Bekreuzigens (die Reihenfolge der Berührungen der Schultern ist vertauscht) und die Formel ist der Schluß des Vaterunser auf Hebräisch, wird hier aber nicht auf einen „außen stehenden“ Gott, sondern auf den Magier selbst bezogen. Es gibt zwei unterschiedliche Interpretationen dieser Tatsache. Die eine Variante ist, daß es sich um eine Blasphemie handelt, bei der der Magier sich selbst an die Stelle Gottes stellt. Die andere, daß dies die besondere, eingeweihte Form des Vaterunser ist, in der Gott aktiv wirkt, statt wie in der religiösen Handlung passiv durch den vor Gott stehenden Frommen beschrieben zu werden. Obwohl die zweite Interpretation unzweifelhaft diejenige ist, die ursprünglich beabsichtigt war, funktioniert das Kabbalistische Kreiz interessanterweise auch mit der anderen. Das Kabbalistische Kreuz kann auch als Miniatur-Ritual für sich verwendet werden, anstatt nur Teil des Kleinen Pentagrammrituals zu sein.
Das Ziehen der Pentagramme:
Wenn Du einen größeren Bereich bannen willst, geh vorwärts bis zum Rand des zu bannenden Bereiches. Zieh ein großes, aufrecht stehendes Pentagramm in die Luft, unten links beginnend nach oben, unten rechts, oben links, oben rechts und wieder unten links, wie im Bild zu sehen. Dabei wird es brennend visualisiert. Die einzelnen Linien des Pentagramms sollten wenigstens einen Meter lang sein. Es ist sehr wichtig, daß das Pentagramm abgeschlossen ist – wenn Du nicht sicher bist, zeichne es nochmal. Ein Pentagramm, das von unten links beginnend nach oben gezogen wird, ist im magischen System des Golden Dawn ein Bannendes Pentagramm der Erde und hat die Funktion, Erdenergien zu bannen. Meist wird empfohlen, es als aus weißen oder blauen Flammen bestehend zu visualisieren. Eine mögliche Variante ist es, beim Ziehen des Pentagramms den henochischen Namen des Elementes Erde – NANTA – zu vibrieren. Jetzt wird das Pentagramm mit dem „Zeichen des Eintretenden“ geladen. Dazu legst Du die Fäuste an die Schläfen, zeigst mit den Zeigefingern und der magischen Waffe, falls Du eine benutzt, nach vorn und machst mit dem linken Fuß einen Schritt vorwärts, während Du gleichzeitig die Arme nach vorn in die Mitte des Pentagramms stößt. Während Du diese Geste ausführst, vibrierst Du „YHVH“ und visualisiert, daß das Pentagramm kraftvoller und strahlender wird. Was vibriert wird, ist der Name Gottes, der traditionell nicht ausgesprochen werden soll und über dessen tiefere Bedeutung schon viele Bücher geschrieben worden sind. Hier ist nur wichtig, daä es unter anderem derjenige Name ist, der dem Element Luft zugeordnet ist. Die „richtige“ Aussprache, diejenige also, die eigentlich vermieden werden soll, lautet wahrscheinlich „Yachwe“. Viele Magier ziehen es vor, stattdessen „Yod-He-Vau-He“, „Jehova“ oder „Tetragrammaton“ zu vibrieren. Führe nun das Zeichen der Stille aus. Dazu setzt Du einfach den linken Fuß wieder zurück und legst den Zeigefinger der linken Hand vor den Mund. Hierbei wird ausnahmsweise mal nichts vibriert. Jetzt stichst Du mit der magischen Waffe oder dem Zeigefinger in die Mitte des Pentagramms und ziehst einen Viertelkreis im Uhrzeigersinn (nach Süden) um Dich. Dabei visualisierst Du, daß Du einen Viertelkreis aus Energie um Dich schneidest, der von der selben Beschaffenheit ist wie das Pentagramm. Wenn Du eine größere Fläche bannen willst, gehst Du den Viertelkreis ab, bis Du im Süden angekommen bist. Jetzt wiederholst Du das Ziehen des Pentagramms und des Viertelkreises in der selben Weise, bis Du wieder im Osten angekommen bist und um Dich herum vier durch einen Kreis verbundene Pentagramme stehen. Die Viertelkreise beginnen und enden jeweils in der Mitte der Pentagramme. Es ist sehr wichtig, daß der Kreis vollständig geschlossen ist! Was sich in den vier Himmelsrichtungen unterscheidet, ist der Gottesname, der beim Zeichen des Eintretenden vibriert wird. Für die drei anderen Gottesnamen gibt es nur jeweils eine Variante.
Osten Luft YHVH
Süden Feuer Agla
Westen Wasser Eheyeh
Norden Erde Adonai
Manche Magier verwenden andere Zuordnungen der Himmelsrichtungen zu den Elementen als diese. In diesem Fall werden auch die Gottesnamen vertauscht. Eine recht populäre Variante des Kleinen Pentagrammrituals ist es, in die jeweiligen Himmelsrichtungen nicht überall das Bannende Pentagramm der Erde zu ziehen, sondern das des jeweiligen Elementes. Das Bannende Pentagramm des Feuers beginnt von unten rechts nach oben, das des Wassers von oben rechts nach links und das der Luft von oben links nach rechts, wie im Bild zu sehen. Für die Variante, beim Ziehen der Pentagramme die henochischen Namen zu vibrieren, lauten die Namen der anderen Elemente:
Luft EXARP
Feuer BITOM
Wasser HCOMA
Erde NANTA
Das Rufen der Erzengel:
Kehr in die Mitte zurück und schau nach Osten. Jetzt vibriere: „Vor mir Raphael“ und visualisiere den Erzengel Raphael als gerade außerhalb des Kreises im Osten stehend. Raphael ist der Erzengel des Elementes Luft. Versuch einen Luftzug zu spüren, der vom Osten her kommt. Eine typische Darstellung Raphaels ist die eines sehr großen Engels in einer gelben und lila Robe, die im Wind flattert. Um ihn tobt ein Sturm und er trägt einen Kaduceus. Schau über Deine Schulter nach hinten. Vibriere: „Hinter mir Gabriel“ und visualisiere den Erzengel Gabriel als gerade außerhalb des Kreises im Westen stehend. Raphael ist der Erzengel des Elementes Wasser. Versuch eine Feuchtigkeit zu spüren, der vom Westen her kommt. Gabriel kann zum Beispiel als sehr großer Engel in einer blauen und orangen Robe visualisiert werden. Er steht auf der Oberfläche eines tosenden Meeres und trägt einen Kelch. Schau nach rechts. Jetzt vibriere: „Rechts von mir Michael“ und visualisiere den Erzengel Michael gerade außerhalb des Kreises im Süden. Michael ist der Erzengel des Elementes Feuer, versuch deshalb eine Wärme zu spüren, der vom Süden her kommt. Michael wird beispielsweise als sehr großer Engel in einer roten und grünen Robe dargestellt. Er steht in einer Feuerbrunst und trägt ein brennendes Schwert. Schau nach links. Jetzt vibriere: „Links von mir Uriel“ und visualisiere den Erzengel Uriel gerade außerhalb des Kreises im Norden. Uriel ist der Erzengel des Elementes Erde, versuch also einen Druck zu spüren, der vom Norden her kommt. Uriel wird normalerweise als sehr großer Engel in einer braunen und olivgrünen Robe dargestellt. Er trägt einen vollen Sack und steht in einer weiten, fruchtbaren Landschaft. Auch völlig andere Bilder von den Erzengeln sind möglich, zum Beispiel Säulen purer göttlicher Kraft, größer als Galaxien, oder die bloßen Namen der Erzengel, auf weißes Feuer geschrieben in (hebräischen) Buchstaben aus schwarzem Feuer. Auf jeden Fall sollten die Visualisierungen so schön und faszinierend sein wie möglich – dadurch werden sie auch kraftvoller und detaillierter. Laß Dir ruhig Zeit dafür. Wenn andere Zuordnungen der Elemente zu den Himmelsrichtungen verwendet werden, so werden die Erzengel in der Reihenfolge vorn-hinten-rechts-links gerufen, nicht in der Reihenfolge der Elemente.
Vollendung:
Schau wieder nach Osten, visualisiere noch einmal intensiv Erzengel, Kreis und Pentagramme, streck die Arme nach links und rechts aus und vibriere „Denn um mich scheint das Pentagramm“. Kreuz die Arme vor der Brust, den rechten Arm vor dem linken, visualisiere in Dir ein golden leuchtendes Hexagramm und vibriere „und in mir leuchtet der sechsstrahlige Stern.“ Das ist die entscheidende Aussage des ganzen Ritus‘! Sie ist symbolisch – eine mögliche Übersetzung wäre „Denn um mich steht der Tempel der Elemente und ich manifestiere den Willen Gottes“. Vibriert werden sollte aber immer die symbolische Formel. Durch die aufgebaute Struktur von Visualisierungen und die stufenweise Steigerung sollte es vergleichsweise leicht sein, sie mit voller Konzentration zu sprechen. Traditionell heißt es „…und in der Säule leuchtet der sechsstrahlige Stern.“ Symbolisch ist die Aussage die selbe, sie bezieht sich nur auf die mittlere Säule aus dem Lebensbaum, mit dem sich durch das Kabbalistische Kreuz identifiziert wurde. Jetzt wird das kabbalistische Kreuz wiederholt. Damit ist das Ritual abgeschlossen.
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