Die drei Erhabenen Weisen und der Wunschbrunnen


von Frater Rätselhafter Pinguin

Wohl jedem von uns sind wohl schon Wesen begegnet, die auf den ersten Blick wirkten wie Menschen, jedoch ganz sicher keine Menschen waren. Auch wenn sie nicht sogleich als solche erkannt wurden, so mag es doch Begegnungen geben, die sich ins Gedächtnis einbrennen, die stets als etwas Besonderes, Außergewöhnliches, Fremdartiges erinnert werden, wiewohl man oft nicht zu sagen vermag, worin das Eigentliche einer solchen Begegnung bestand. Ist jedoch die rechte Zeit gekommen, dann enthüllt sich alles wie von selbst und die Wesen erscheinen plötzlich klar und deutlich als das, was sie immer schon gewesen sind. Neben manch anderem Gewese, gibt es zweifelsohne jene erhabenen weisen Wesen, welche vielerlei Gestalt annehmen mögen und sich bisweilen in menschlicher Gestalt unter uns Menschen mischen. Manchmal sind sie glückbringend und erfüllen so manchen Wunsch, wenn man denn das Wesen ihrer Wunscherfüllung erfassen kann. Ich selbst erkannte jüngst, daß drei wundersame Begegnungen die mir widerfahren sind, nichts anderes waren, als Begegnungen mit den drei erhabenen weisen Wesen. Sie hatten den Schleier gehoben und mir ihr wahres Wesen offenbart, auf daß ich dieses Wissen mit allen Menschen teilen möge. Ein jeder, dem Solches zuteil wird, tut gut daran, das zu tun, was ihm – nachdem ihm solches Zuteil wurde – als gut zu tun erscheinen mag. Nun, die erste Begegnung liegt schon lange, schon Jahrzehnte zurück. Es war damals die Zeit, als es wohl schon vereinzelt chinesische Schnellimbisse gab, dies aber doch noch etwas eher Ungewöhnliches und gerade so eben nichts exotisches mehr war. Ich fuhr, wie ich es zu jenen Zeiten häufig tat, mit der Bahn durchs Land und erreichte den Bahnhof einer kleineren Großstadt, die auf meiner Fahrt nur ein Durchreisepunkt war, und mit der mich ansonsten nichts weiter verband. Da ich einen gewissen Hunger verspürte, aber weder über viel Zeit noch über vieles Geld verfügte, beschloß ich die nähere Umgebung des Bahnhofes auszukundschaften und nach einem Schnellimbiss ausschau zu halten. Da entdeckte ich einen kleinen, im Souterrain gelegenen chinesischen Schnellimbiss und kurzentschlossen, mit der leichten Erregung dessen, der noch nicht häufig chinesisch gespeist hat, lief ich die paar Treppenstufen hinab und betrat den kleinen chinesischen Imbiss. Unten angekommen bemerkte ich, daß ich der einzige Gast war – ein kleiner zierlicher Chinese lächelte mich freundlich – und wie es mir erscheinen wollte, auch etwas hintergründig an – und fragte nach meinem Wünschen. Die Namen der Gerichte sagten mir in jenen Tagen noch nicht allzu viel und da alles recht günstig war, wählte ich aufs geradewohl ein Gericht aus. Es kam ein großer Teller einer recht annehmbaren Suppe. Ich aß sie und war beinahe vollständig gesättigt, als ich den Teller geleert hatte. Bedachte ich den günstigen Preis, war ich durchaus zufrieden mit der Mahlzeit. Es stellte sich jedoch heraus, daß dies nur die Vorspeise gewesen war – was folgte war ein Teller, der ein großzügig bemessenes, recht schmackhaftes Reisgericht enthielt. Ich begann also mich dieses Gerichtes anzunehmen, doch bald schon war ich vollständig gesättigt, obwohl nur ein kleiner Teil der Portion bereits vertilgt war. Ich stocherte gerade etwas unschlüssig in dem Reisgericht herum, da wandte sich der kleine chinesische Koch zu mir und sagte lächelnd und mit hoher Stimme : „Sie müssen essen !“ „Sie müssen essen !“ Ich verlor etwas den Boden unter den Füßen und tausend Gedanken schwirrten mir Kopfe umher. Was wohl hatte es mit diesem kleinen, freundlich (- oder hintergründig ?) lächelnden Chinesen auf sich ? Da ich nicht wusste, wie mich mit der Situation umgehen sollte, leerte ich den ganzen Teller und verließ den chinesischen Schnellimbiss mehr als gesättigt. Wider erwarten verspürte ich aber kein unangenehmes Völlegefühl, mir war auch in keiner Weise übel, sondern ich fühlte mich auf angenehme Art und Weise vollständig und für lange Zeit gesättigt. Dies war also das erste der drei erhabenen weisen Wesen – der lächelnde chinesische Koch – ich hatte um Essen gebeten und erhielt es überreichlich – es musste gar etwas nachhelfen, daß ich seine Lektion verstand : Wer um etwas bittet, dem wird es in so großer Fülle zuteil werden, daß es ihm zuviel erscheinen mag – doch es ist nicht zuviel. Was immer man auch erhalten mag, wie überreichlich es auch sein mag – es ist genau die richtige Menge, denn von allem Gutem ertragen wir weit mehr, als wir dies meinen mögen. Die zweite Begegnung ereignete sich in der Fußgängerzone jener Stadt, die zu jener Zeit meine Heimatstadt war. Eine Fußgängerzone, wie in allzu vielen anderen Städten auch – zu banal um Hölle zu sein, doch weit davon entfernt jene Bedürfnisse der etwas subtileren Art befriedigen zu können, gleich in welche Richtung unsere Natur uns lenken mag. Absichtslos schlenderte ich hindurch, nichts erwartend, doch durchaus bereit, hier und da etwas Geld für Dinge auszugeben. Selten betrat ich Geschäfte, da dies mich aus meiner , ja, nennen wir es schwebenden Absichtslosigkeit gerissen und mich in einer mehr oder weniger perspektivlosen Realität zurückgelassen hätte. So mag es erklärlich sein, daß, als ich inmitten der Fußgängerzone einen Stand der Socken feilbot erblickte, diesem einen zweiten Blick gönnte. Traf es sich doch, daß ich just zu dieser Zeit, das eine oder andere Paar neue Socken gut gebrauchen konnte. Der Sockenverkäufer – nun, er war nicht jung und noch nicht alt und es war ihm eine gewisse Schleimigkeit eigen – er wirkte wie ein Wesen, daß in seinem Leben nicht immer ehrlich und niemals erfolgreich gewesen war. Kaum daß er gewahr wurde, daß ich die vor mir ausgebreiteten Socken mit einer hinreichenden Aufmerksamkeit begutachtete, wandte er sich an mich mit den Worten: „Ei sie kenne sisch aus mit Socke, des seh isch doch gleisch.“ Von dieser recht primitiven Anbiederung – zu der der hessische Dialekt, der ja zu vielerlei Rückschlüssen auf den Charakter des Sprechenden in gewisser Weise geradezu herausfordert, in fast schon kongenialer Art und Weise passte – etwas verwirrt, ließ ich mich doch nicht davon Abhalten, drei Paar Socken zu erstehen, zumal der Preis sehr günstig war. Ich musste, fast wider Erwarten, feststellen, daß die Socken von ausgezeichneter Qualität waren. Ich trage sie heute noch. Dieser schmierige Sockenverkäufer war also das zweite der erhabenen weisen Wesen. Seine Tarnung wäre fast zu gut gewesen, doch letztlich war es genau dieser Umstand, der mir die Wahrheit offenbarte. Der Verkäufer selbst war natürlich nur eines jener verirrten Wesen, die wer weiß wie lange schon, durch Raum und Zeit irren. Eines jener Wesen, die nie ehrlich genug, oder in ihrem Betrug exquisit genug sind, um in diesem Teil des Multiversums je auf einen grünen Zweig zu gelangen. Doch hatte es das Glück, zum Werkzeug eines erhabenen weisen Wesens zu werden, der sich seiner bediente, um ihm so ein Sein zu gewährleisten und gleichzeitig Schaden von allen anderen Wesen fernzuhalten, denn alles was es ihm feilzubieten gab, war günstig und von guter Qualität. Was immer wir also von diesem erhabenen weisen Wesen, das ich den „schmierigen Sockenverkäufer“ nennen möchte, erhalten, sollten wir ungeachtet aller suspekten Begleitumstände annehmen, denn es ist gut. Das dritte der erhabenen weisen Wesen ist vielleicht das Geheimnisvollste von allen, und lange brauchte ich, um die tiefe Weisheit die hinter seiner Lektion stand, zu ergründen. Es ereignete sich in einer kleinen, keineswegs noblen Pizzeria, wie sie fast überall zu finden sind. Diese befand sich in einem sehr kleinen, verwunschenen Kurort, doch nichts in dieser Pizzeria wies darauf hin, daß sie sich gerade in einem solchen Ort befand. In einem Ort, der wirkt, als sei er auf wundersame Weise, jenseits der Wirklichkeit, wirkte diese Pizzeria, als sei sie jenseits dieses Ortes, in einer weit profaneren Wirklichkeit beheimatet. Es ergab sich, daß ich diese Pizzeria gemeinsam mit Soror XXXX besuchte und wir die einzigen Gäste waren. Muß ich erwähnen, daß der Umstand, daß wir die einzigen Gäste waren, in dieser speziellen Umgebung, nichts an sich hatte, was man als „Ungewöhnlich“ oder „Überraschend“ umschreiben könnte ? Wir gaben also unsere Bestellung auf und nahmen an einem der wenigen Tische Platz. Wir warteten. Als die Zeit, die für die Zubereitung solch einfacher Speisen für gewöhnlich veranschlagt werden kann, verstrichen war, warteten wir noch immer. Wir hatten es nicht eilig. Die Zeit verstrich und irgendwann fühlte ich mich bemüßigt, mich von meinem Stuhl zu erheben, zur Theke zu gehen und den Pizzabäcker zu fragen, wann wir mit unseren Speisen rechnen könnten. Er sah mich an und rief dann aus . „Ahhhh, ich haaabe sie ganz vergessen !“ Ich wiederholte die Bestellung und nach gegebener Zeit erhielten wir unsere Pizzas und sie sie waren so, wie man es in solch einer Pizzeria eben erwartet. Es ist offensichtlich, daß es sich bei dem „Pizzabäcker des Vergessens“ nicht um ein menschliches Wesen handeln konnte, denn wie sollte ein solches Wesen unter den Zwängen menschlichen Wirtschaftens überleben können ? Die Tiefe seiner Botschaft sollte sich mir jedoch erst viel später erschließen : Hatte er uns nicht völlig unerwartet in den Zustand völliger Freiheit versetzt ? Wir hätten die Pizzeria wohl verlassen können, um ein anderes Lokal aufzusuchen. Wir hätten die Bestellung ändern können, ohne daß dies Aufsehen erregt hätte, wir hätten erkennen können, daß wir eigentlich gar keinen Hunger haben – und wir konnten dieselbe Bestellung noch einmal aufgeben, um so das ursprünglich Bestellte zu erhalten. Alles war in diesem Moment möglich und niemand hätte diese plötzliche Freiheit voraussehen können. Dies ist das Geschenk und die Lehre des „Pizzabäckers des Vergessens“ – eine Freiheit, die keinen Verlust bedeutet, denn schließlich bekamen wir das, was wir bestellt hatten. Doch nur deshalb, weil es das war, was wir wirklich wollten – wir hätten alles haben oder auch nichts haben können. Ein wahrhaft erhabenes weises Wesen !

Der Ritus der Anrufung der drei erhabenen weisen Wesen und des Wunschbrunnens

Um diese erhabenen weisen Wesen zu rufen, müssen zunächst deren Altäre errichtet werden. Für den „lächelnden chinesischen Koch“ ein Teller, auf dem irgendetwas, was mit Reis zu tun hat, dargeboten wird. Für den „schmierigen Sockenvverkäufer“ ein Teller, auf dem eine Qualitätssocke drapiert ist. Für den „Pizzabäcker des Vergessens“ ein erhabener leerer Teller. Der große Ritus der Anrufung der drei erhabenen weisen Wesen, wird durch eine IAO-Bannung eröffnet. Sodann wird der Willenssatz deklamiert : „Die drei erhabenen weisen Wesen werden gerufen und der Wunschbrunnen erfüllt die Wünsche“. Jene drei, die die erhabenen weisen Wesen während des Ritus in sich aufnehmen, nehmen unweit der Altäre Aufstellung und öffnen sich jenen. Die Anrufung geschieht durch den Wechselgesang zweier Chöre, wie dies aus dem katholischen Messritus bekannt ist:

1. Chor : „Wen wollen wir rufen ?“

2. Chor : „Die drei erhabenen weisen Wesen.“

1. Chor : „Wie wollen wir das machen ?“

2. Chor : „Wir essen, kennen uns aus und werden vergessen.“

2. Chor : „Wen wollen wir rufen ?“

1. Chor : „Die drei erhabenen weisen Wesen.“

2. Chor : „Wie wollen wir das machen ?“

1. Chor : „Wir essen, kennen uns aus und werden vergessen.“

usw.

Haben sich die erhabenen weisen Wesen in jenen, die die drei erhabenen weisen Wesen in sich aufnehmen, manifestiert, können Wünsche an sie herangetragen werden. Dies mag im Stillen oder auch hörbar geschehen. Wird an den lächelnden chinesischen Koch etwa der Wusch nach viel Geld herangetragen, so antwortet dieser : „Sie müssen Geld nehmen. Sie müssen Geld nehmen.“ Alles was man sich von ihm Wünschen mag, erhält man in überreichlicher Fülle, doch es wird nicht zuviel sein.

Trägt man dem schmierigen Sockenverkäufer den Wusch nach Erleuchtung vor, wird dieser Antworten : „Ei, sie kenne sisch aus mit Erleuschtung, des seh isch doch gleisch.“ Und was einem auch zuteil werden mag, es wird von guter Qualität sein.

Der Pizzabäcker des Vergessens, nun, er wird in seiner Weisheit, jeden Wusch auf die gleiche Art beantworten : „Ahhh, ich haaaabe sie ganz vergessen.“ So der Wünschende weise ist – und wie sollte er dies nicht sein, nachdem er dieses erhabene weise Wesen angesprochen hat, wird er die geschenkte Freiheit zu nutzen wissen.

Sind alle Wünsche vorgetragen, kehren die drei erhabenen weisen Wesen in ihre Sphären zurück und die menschlichen Wesen versammeln sich um den Wunschbrunnen. Über diesem schwebt eine zu Eis gefrorene oktarine Chaossphäre. Sendet man seinen Atem in diese Sphäre, so löst sie sich mählich auf und ein oktariner Nebel breitet sich aus und bringt die Erfüllung der Wünsche auf den Weg. Doch auch jenen, die keine Wünsche vorgetragen haben, werden diese erfüllt, denn es steht geschrieben : „Jenen, die im Nebel des Wunschbrunnens standen, wird erfüllt werden, was diese einstmals gewünscht haben werden.“

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