Die Reise zu Frau Holle


von Frater Pandagaz 247

Ziel dieses Rituals ist die Reise zu Frau Holle, um mit ihr in Kontakt treten zu können. Es kann zu jeder Zeit ausgeführt werden, ist aber in den Rauhnächten zwischen der Nacht vom 24. Auf den 25 Dezember und der vom 05. auf den 06. Januar, in denen die Tore zur Anderswelt weit geöffnet und somit Kontaktaufnahmen in die Anderswelt besonders leicht zu bewerkstelligen sind. Frau Holle, die den meisten aus dem gleichnamigen Märchen der Gebrüder Grimm (*1) bekannt sein dürfte, ist u.a. auch unter den Namen Frigg, Holda, Hulle, Percht, Perchta und Weiße Frau bekannt und hat sowohl eine helle, fruchtbare, segenspendende Seite, in der sie als große, schöne weißgewandete Frau erscheint, als auch eine dunkle, gefährliche und strafende Seite, in der sie als häßliche Alte mit wirrem Haar, großen Zähnen odergroßer Nase auftritt, wobei aber beide Seiten sowohl freundlich als auch gefährlich sein können (*2). Frau Holle pflegt – vor allem, aber nicht ausschließlich, in den Rauhnächten -den Kontakt zu den Menschen, insbesondere den Frauen und belohnt die Fleißigen und Großzügigen, während die Faulen und Geizigen bestraft werden; sie ist aber auch Hüterin der Seelen der Toten und der Neugeborenen und Weberin des Schicksals der Menschen. Insoweit bestehen sowohl Parallelen zu Hel als auch zu den Nornen; insbesondere gilt Frau Holle auch als dreifaltig in der Gestalt von Mädchen, Mutter und weiser alter Frau (*3).

  1. Den Brunnen der Frau Holle erschaffen Auf dem Boden liegt ein mit Wasser gefülltes rundes Tablett mit hohem Rand, das einen Brunnen symbolisiert, durch den man in die Anderswelt zu Frau Holle gelangen kann. In der Mitte des Tabletts steht ein Kelch mit Saft aus Schwarzem Holunder (*4), dem Sakrament. Wenn nur drei Personen teilnehmen, sitzen sie um den Kreis herum und bilden die Spitzen eines Dreiecks (*5).A invoziert die Vergangenheit, B die Gegenwart und C die Zukunft, indem die Teilnehmer sich Ereignisse aus der Vergangenheit (A), Gegenwart (B) und erwarteten Zukunft (C) ins Gedächtnis rufen und die entsprechenden Energien aufbauen. Nun schickt A ihre Energie an B und berührt dabei mit der gesandten Energie den Brunnen nur an einer Stelle und visualisiert, wie die Energie den Kreis anschubst und im Uhrzeigersinn dreht; ebenso schickt B an C und C an A. So geht es weiter und weiter, die Energien werden immer schneller geschickt, während sich der Brunnen tiefer und tiefer in den Boden bohrt. Alternativ können die drei auch ihre jeweilige Energie Vortex-artig an den Brunnenrand selbst schicken und dabei visualisieren, wie diese Energie in den Brunnen einfließt und ihm einen Schubs gibt (*6). Bei vier oder fünf Teilnehmern werden die Teilnehmer in drei Gruppen A, B und C aufgeteilt und sitzen im Kreis um den Brunnen herum, wobei die Angehörigen der jeweiligen Gruppe nebeneinander sitzen. Ab sechs Teilnehmern sitzen die Teilnehmer im Kreis direkt am Brunnen und werden auf sechs Gruppen aufgeteilt. Die Gruppen A, B und C bleiben wie beschrieben. Die drei anderen Gruppen invozieren je einen Aspekt der Dreifaltigkeit Mädchen, Mutter, weise Alte, wobei das Mädchen zwischen A und B sitzt, die Mutter zwischen B und C und die weise Alte zwischen C und A. Der Brunnen wird nun so gegraben, daß A,B und C sowie die drei Aspekte der Göttin jeweils nur miteinander interagieren; A schickt die Energie an B, B an C, C an A, das Mädchen an die Mutter, die Mutter an die weise Alte und die weise Alte an das Mädchen. Die Energieweitergabe erfolgt nun so, daß die beiden kreisförmigen Energieströme den Brunnen direkt mitbewegen, so daß er sich, von beiden Strömen angetrieben, in den Boden bohrt (*7). Währenddessen rezitiert der Ritualleiter immer wieder „… Regit idem spiritus artus orbe alio“ (Übersetzung: „Derselbe Atem regiert die Glieder in einer anderen Welt.“) (*8). Wenn das Energiefeld stark genug ist, ruft er im Brunnen Frau Holle an, z.B. mit folgendem Text: „Frau Holle, Beschützerin und Belohnerin der Rechtschaffenen, Großzügigen und Fleißigen, Bestraferin der Geizigen und Faulen, Knüpferin des Schicksalsnetzes, Mädchen, Mutter und weise Alte in einer Person, ich bitte Dich: Zeige Dich uns in Deinem Brunnen“.
  2. Die Reise zu Frau Holle Nun beginnt der Ritualleiter mit der Räucherung von Wachholderbeeren (*9) und zieht eine Sigil auf den Brunnen: Diese Sigil stellt eine sigillisierte Spindel (*10) dar: Nun sticht sich jeder Teilnehmer mit einer Lanzette in den Finger und gibt einen Blutstropfen auf die Sigil (*11). Hierdurch wird die Pforte zu Frau Holle geöffnet und man kann durch den Brunnen die Welt der Frau Holle betreten und Kontakt zu ihr aufnehmen. Nun schließt sich ein freier Teil an, in dem jeder Kontakt zu Frau Holle aufnehmen und mit ihr interagieren kann. Was in diesem Abschnitt des Rituals passiert, lässt sich nicht vorhersagen, allerdings ist Frau Holle dafür bekannt, daß sie ihre Besucher gerne auf Ihren Fleiß hin testet; so kann es sein, daß man auf dem Weg zu ihr auf das Brot im Ofen trifft, das man vor dem Verbrennen retten muß, indem man es herauszieht, die Äpfel vom Baum schütteln und zusammenlegen oder auch die Betten der Frau Holle machen muß. In welcher Gestalt sie sich zeigt, ist ebenfalls nichtvorhersehbar, aber man wird sie sicher erkennen. Zur Begrüßung kann man ihr gut einen Schluck Sakrament anbieten Hat man die Prüfungen bestanden, ist Frau Holle sehr zugänglich und hilfsbereit. Aufgrund ihrer Weisheit und Vielseitigkeit kann sie dem Besucher auf viele unterschiedliche Weise helfen; so kann man Sie z.B. bitten, bei einer Divination zu helfen oder auch, das Schicksal den eigenen Wünschen entsprechend zu beeinflussen. Keinesfalls darf man sich aber geizig oder faul zeigen.
  3. Die Rückkehr Will man die Welt von Frau Holle verlassen, kann man sich bei ihr bedanken, sich von ihr verabschieden und sie bitten, daß man von ihr zum Tor geführt wird. Sie führt einen dann zum Tor aus ihrer Welt, das sich öffnet und einen zurück in den Tempelraum führt. Hierbei kann es vorkommen, daß man zum Abschied unter dem Torbogen unter einem Goldregen steht, mit dem Frau Holle die besonders Fleißigen belohnt (*12). Zum Abschied verabschiedet sich der Ritualleiter bei Frau Holle, dankt ihr und schließt das Spiegelportal. Nunmehr wird der Rest des Sakraments verzehrt; ein Teil davon sollte allerdings als Opfergabe auf einer Wegkreuzung vergossen werden.

FUßNOTEN:

(*1) KHM 24; die verschiedenen Fassungen des Märchens finden sich beispielsweise im Internet unter http://de.wikisource.org/wiki/Frau_Holle. (*2) Nayoma de Haen, Das Mysterium der Rauhnächte, KOHA-Verlag, 2. Auflage 2012, S. 42. (*3) So z.B. Wolf-Dieter Storl, CD „Frau Holle und andere Pflanzenmärchen“, KOHA-Verlag 2008, Kapitel 3 „Holunder und das Höllenreich“; ebenso Claudia Müller-Ebeling in Ebeling/Rätsch, Frau Holle – Holler, Hölle, Unterwelt, DVD, Foitzick-Verlag 2010, Teil 1, die Frau Holle mit den Parzen, den drei Schicksalsgöttinnen (ähnlich den Nornen), vergleicht und Jeanne Ruland, Das Geheimnis der Rauhnächte, Schirner-Verlag, 11. Auflage 2012, S.35; s. auch De Haen, a.a.O. (Fn. 2), S. 41 ff.. (*4) Der Schwarze Holunder ist der Frau Holle heilig, Gardenstone, Göttin Holle: Auf der Suche nach einer alten Göttin, Books on demand 2002-2006, S. 31 ff., 109 ff.. (*5) Das Dreieck symbolisiert nur den Energiefluß; es wird nicht auf den Boden aufgezeichnet. (*6) Auch bei dieser Variante sollte aber darauf geachtet werden, daß sich der Brunnen im Uhrzeigersinn dreht. (*7) Ganz wichtig: alle drehen in dieselbe Richtung! (*8) Marcus Annaeus Lucanus, De bello civili, I/455 ff. In diesem Abschnitt beschreibt Lucanus (39-65) unter Verwendung des Begriffs „orbis alius“ („Anderswelt“) die Lehre der Druiden von der Seelenwanderung. (*9) Der Wacholder steht in enger Verbindung zu Frau Holle und ähnelt ihr bereits im Namen, s. Gardenstone, a.a.O. (Fn. 4), S. 37. (*10) Den Zugang zur Anderswelt der Frau Holle bildet die Spindel, weil nach dem Märchen der Gebrüder Grimm das fleißige Mädchen von ihrer bösen Stiefmutter in den Brunnen geschickt wird, um ihre verlorene Spindel zurückzuholen; diese Spindel war blutig, da das arme Mädchen soviel hatte spinnen müssen, daß ihre Finger bluteten. Die Abbildung der Spindel stammt aus http://de.wikipedia.org/wiki/Handspindel. (*11) Dies symbolisiert das Blut auf der in den Brunnen gefallenen Spindel im Märchen. (*12) Wer möchte, kann dabei zur Sicherheit visualisieren, daß das Gold auf für sich angenehme Weise zu einem kommt. Hierdurch wird vermieden, daß man etwa dadurch zu Geld kommt, daß man einen geliebten Menschen beerbt. Findet man sich nicht in einem Goldregen, sondern in einem Pechregen wieder, sollte man sein Verhalten dringend überdenken und sich ändern, da Frau Holle den pechregen verwendet, um faule und selbstsüchtige Menschen zu bestrafen.

Anhang: Das Märchen von Frau Holle Gebrüder Grimm, Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe, S. 133-136 7. Auflage 1857 (Ausgabe letzter Hand)

http://de.wikisource.org/wiki/Frau_Holle_%281857%29

24. Frau Holle. Eine Wittwe hatte zwei Töchter, davon war die eine schön und fleißig, die andere häßlich und faul. Sie hatte aber die häßliche und faule, weil sie ihre rechte Tochter war, viel lieber, und die andere mußte alle Arbeit thun und der Aschenputtel im Hause sein. Das arme Mädchen mußte sich täglich auf die große Straße bei einem Brunnen setzen, und mußte so viel spinnen, daß ihm das Blut aus den Fingern sprang. Nun trug es sich zu, daß die Spule einmal ganz blutig war, da bückte es sich damit in den Brunnen und wollte sie abwaschen: sie sprang ihm aber aus der Hand und fiel hinab. Es weinte, lief zur Stiefmutter und erzählte ihr das Unglück. Sie schalt es aber so heftig und war so unbarmherzig, daß sie sprach „hast du die Spule hinunterfallen lassen, so hol sie auch wieder herauf.“ Da gieng das Mädchen zu dem Brunnen zurück und wußte nicht was es anfangen sollte: und in seiner Herzensangst sprang es in den Brunnen hinein, um die Spule zu holen. Es verlor die Besinnung, und als es erwachte und wieder zu sich selber kam, war es auf einer schönen Wiese wo die Sonne schien und viel tausend Blumen standen. Auf dieser Wiese gieng es fort und kam zu einem Backofen, der war voller Brot; das Brot aber rief „ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich: ich bin schon längst ausgebacken.“ Da trat es herzu, und holte mit dem Brotschieber alles nach einander heraus. Danach gieng es weiter und kam zu einem Baum, der hieng voll Äpfel, und rief ihm zu „ach schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle mit einander reif.“ Da schüttelte es den Baum, daß die Äpfel fielen als regneten sie, und schüttelte bis keiner mehr oben war; und als es alle in einen Haufen zusammengelegt hatte, gieng es wieder weiter. Endlich kam es zu einem kleinen Haus, daraus guckte eine alte Frau, weil sie aber so große Zähne hatte, ward ihm angst, und es wollte fortlaufen. Die alte Frau aber rief ihm nach „was fürchtest du dich, liebes Kind? bleib bei mir, wenn du alle Arbeit im Hause ordentlich thun willst, so soll dirs gut gehn. Du mußt nur Acht geben daß du mein Bett gut machst und es fleißig aufschüttelst, daß die Federn fliegen, dann schneit es in der Welt; ich bin die Frau Holle.“ Weil die Alte ihm so gut zusprach, so faßte sich das Mädchen ein Herz, willigte ein und begab sich in ihren Dienst. Es besorgte auch alles nach ihrer Zufriedenheit, und schüttelte ihr das Bett immer gewaltig auf daß die Federn wie Schneeflocken umher flogen; dafür hatte es auch ein gut Leben bei ihr, kein böses Wort, und alle Tage Gesottenes und Gebratenes. Nun war es eine Zeitlang bei der Frau Holle, da ward es traurig und wußte anfangs selbst nicht was ihm fehlte, endlich merkte es daß es Heimweh war; ob es ihm hier gleich viel tausendmal besser gieng als zu Haus, so hatte es doch ein Verlangen dahin. Endlich sagte es zu ihr „ich habe den Jammer nach Haus kriegt, und wenn es mir auch noch so gut hier unten geht, so kann ich doch nicht länger bleiben, ich muß wieder hinauf zu den Meinigen.“ Die Frau Holle sagte „es gefällt mir, daß du wieder nach Haus verlangst, und weil du mir so treu gedient hast, so will ich dich selbst wieder hinauf bringen.“ Sie nahm es darauf bei der Hand und führte es vor ein großes Thor. Das Thor ward aufgethan, und wie das Mädchen gerade darunter stand, fiel ein gewaltiger Goldregen, und alles Gold blieb an ihm hängen, so daß es über und über davon bedeckt war. „Das sollst du haben, weil du so fleißig gewesen bist“ sprach die Frau Holle und gab ihm auch die Spule wieder, die ihm in den Brunnen gefallen war. Darauf ward das Thor verschlossen, und das Mädchen befand sich oben auf der Welt, nicht weit von seiner Mutter Haus: und als es in den Hof kam, saß der Hahn auf dem Brunnen und rief „kikeriki, unsere goldene Jungfrau ist wieder hie.“ Da gieng es hinein zu seiner Mutter, und weil es so mit Gold bedeckt ankam, ward es von ihr und der Schwester gut aufgenommen. Das Mädchen erzählte alles, was ihm begegnet war, und als die Mutter hörte wie es zu dem großen Reichthum gekommen war, wollte sie der andern häßlichen und faulen Tochter gerne dasselbe Glück verschaffen. Sie mußte sich an den Brunnen setzen und spinnen; und damit ihre Spule blutig ward, stach sie sich in die Finger und stieß sich die Hand in die Dornhecke. Dann warf sie die Spule in den Brunnen und sprang selber hinein. Sie kam, wie die andere, auf die schöne Wiese und gieng auf demselben Pfade weiter. Als sie zu dem Backofen gelangte, schrie das Brot wieder „ach, zieh mich raus, zieh mich raus, sonst verbrenn ich, ich bin schon längst ausgebacken.“ Die Faule aber antwortete „da hätt ich Lust mich schmutzig zu machen,“ und gieng fort. Bald kam sie zu dem Apfelbaum, der rief „ach, schüttel mich, schüttel mich, wir Äpfel sind alle mit einander reif.“ Sie antwortete aber „du kommst mir recht, es könnte mir einer auf den Kopf fallen,“ und gieng damit weiter. Als sie vor der Frau Holle Haus kam, fürchtete sie sich nicht, weil sie von ihren großen Zähnen schon gehört hatte, und verdingte sich gleich zu ihr. Am ersten Tag that sie sich Gewalt an, war fleißig und folgte der Frau Holle, wenn sie ihr etwas sagte, denn sie dachte an das viele Gold, das sie ihr schenken würde; am zweiten Tag aber fieng sie schon an zu faullenzen, am dritten noch mehr, da wollte sie Morgens gar nicht aufstehen. Sie machte auch der Frau Holle das Bett nicht wie sichs gebührte, und schüttelte es nicht, daß die Federn aufflogen. Das ward die Frau Holle bald müde und sagte ihr den Dienst auf. Die Faule war das wohl zufrieden und meinte nun würde der Goldregen kommen; die Frau Holle führte sie auch zu dem Thor, als sie aber darunter stand, ward statt des Goldes ein großer Kessel voll Pech ausgeschüttet. „Das ist zur Belohnung deiner Dienste“ sagte die Frau Holle und schloß das Thor zu. Da kam die Faule heim, aber sie war ganz mit Pech bedeckt, und der Hahn auf dem Brunnen, als er sie sah, rief „kikeriki, unsere schmutzige Jungfrau ist wieder hie.“ Das Pech aber blieb fest an ihr hängen und wollte, so lange sie lebte, nicht abgehen.

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